Im „Zentrum der Moderne“

Anmerkungen zur Malerei von Bettina Antoinette

Robert Reschkowski

Da kommt dem Publikum unwillkürlich der Satz in den Sinn, „der Schuster möge doch bei seinen Leisten bleiben“, und im umgekehrten Fall sei doch „die Lautmalerei“ eines Petrowitsch Mussorgski mit seinem Klavier-Opus „Bilder einer Ausstellung“ etwas völlig anders Geartetes. Ein aufmerksam-kritischer Kunstrezipient, der mit der Moderne vertraut ist, wird spätesten bei diesem Vergleich seine Stimme erheben und auf einen essenziellen Aspekt der Moderne hinweisen. Nehmen wir also eine Kernaussage zu Bettina-Antoinettes Bildnerei vorweg:

Die Künstlerin BA steht mit ihrem musikalisch-bildnerischen Schaffen im Zentrum eines an der Moderne orientierten Musik- und Kunstschaffens.

Die Vor- und Nachkriegsmoderne ist essenziell geprägt sowohl durch Interdisziplinarität als auch durch Trans- und Intermedialität.

Paul Klee war beispielsweise ein hervorragender Geiger und konnte sich lange nicht für Musik oder Bildende Kunst entscheiden. Die Farbklänge, dynamischen Lineamente und thematisch episodischen Bögen haben durchaus etwas Musikalisches, d. h. sie entwickeln sich in der Zeit, seine Bildwerke sind lesbar gleich einer bildnerischen Partitur.

Bild

Arnold Schönberg, ein Vater der Zwölftonmusik, nutzte unabhängig von der Entwicklung der theoretischen Grundlagen und seinen entsprechenden revolutionären Kompositionen Malerei als Ausdrucksmedium und ging auch in diesem ganz neue Wege. Arnold Schönberg hat beginnend mit 1906 bis zu seinem Tod gemalt und gezeichnet, am intensivsten um 1910. Rund 270 Bilder sind erhalten, etliche, von denen man das Sujet oder den Titel kennt, verschollen.

...“Das Vergleichen der Mittel verschiedenster Künste und dieses Ablernen einer Kunst von der anderen kann nur dann erfolg- und siegreich werden, wenn das Ablernen nicht äußerlich, sondern prinzipiell ist. D. h. eine Kunst muß bei der anderen lernen, wie sie mit ihren Mitteln umgeht, sie muß es lernen, um dann ihre eigenen Mittel prinzipiell gleich zu behandeln, d. h. in dem Prinzip, welches ihr allein eigen ist. Bei diesem Ablernen muß der Künstler nicht vergessen, daß jedes Mittel eine ihm geeignete Anwendung in sich birgt und daß diese Anwendung herauszufinden ist.

In Anwendung der Form kann die Musik Resultate erzielen, die die Malerei nicht erreichen kann. Andererseits bleibt hinter manchen Eigenschaften der Malerei die Musik zurück. Z.B. hat die Musik die Zeit, die Ausdehnung der Zeit zur Verfügung. Die Malerei aber kann dagegen, indem sie den erwähnten Vorzug nicht besitzt, in einem Augenblick den ganzen Inhalt des Werkes dem Zuschauer bringen, wozu wieder die Musik nicht fähig ist. Die Musik, die von der Natur äußerlich ganz emanzipiert ist, braucht nicht irgendwo äußere Formen für ihre Sprache zu leihen.“…

Wassili Kandinsky, "Das Geistige in der Kunst" Seite 37/38, Piper Verlag, 3. Auflage München 1912

…“War Schönberg als Maler ein Dilettant, wie er es selbst von sich behauptet hat, oder kann man ihn, wie es Konrad Oberhuber / Wien + San Diego in seinem Referat getan hat, ohne Gefahr der Übertreibung Seite an Seite mit den großen Namen der klassischen Moderne stellen? Deren avantgardistische Leistung war die Aufhebung der Zentralperspektive, und darin glichen Schönbergs Bilder denen von Van Gogh bis Cézanne. Schon in der zeitgenössischen Rezeption zeichnen sich diesbezüglich konträre Positionen ab, auf der einen Seite der Enthusiasmus Kandinskys, auf der anderen die Skepsis von Carl Moll, der Schönbergs Bitte einer Ausstellung seiner Bilder zu veranstalten, entschieden ablehnte.

Elmar Budde / derzeit Wien macht den Gedankenaustausch, den Kandinsky 1911 initiierte, zum Ausgangspunkt seiner Überlegungen zum Thema Musik und Bild „ut musica pictura – ut pictura musica“. Er zitiert aus einem Essay, den Kandinsky 1912 über Schönbergs Bilder verfasste: Der Zweck eines Bildes bestünde darin, so Kandinsky, einem inneren Eindruck mit malerischen Mitteln einen äußeren Ausdruck zu geben, und in Schönbergs Visionen und Blicken sei das aufs Vollkommenste erfüllt. Deshalb hätte man es in Schönbergs Bildern mit Malerei zu tun, auch wenn sie im offiziellen Betrieb abseits stünden. In Schönbergs Portraits und Selbstportraits, so Budde, sind es die Augen, die quasi durch den Betrachter hindurch schauen und ihn in eine imaginäre Tiefe ziehen. Schönberg habe de facto, ohne sich dessen bewusst zu sein, die Perspektive der traditionellen Malerei, die das Verhältnis von Betrachter und Bild bestimmt, umgekehrt. Das Formprinzip der umgekehrten Perspektive führt dann zu einer ähnlichen Wirkung, wie sie Ikonen haben. „Ich habe Blicke gemalt“, sagte Schönberg, „das ist etwas, was nur ich getan haben konnte, denn es ist aus meiner Natur heraus und ist der Natur eines wirklichen Malers vollkommen entgegengesetzt ...“

Bild2

Auch Manfred Wagner / Wien kommt in seinem Referat „Arnold Schönberg: Als Maler ein Dilettant?“ auf die Kandinsky-Episode zurück und greift aus dem immer wieder zitierten Brief Schönbergs an Kandinsky (vom 9.3.1912) den Satz heraus: „Ich bin sicher ein Outsider, ein Amateur, ein Dilettant“.

Zitiert aus ARTIKEL Schönberg als Maler Paul Kruntorad 2003
Österreichische Musikzeitschrift, vol. 58, no. 11-12, 2003, pp. 32-34.
https://doi.org/10.7767/omz.2003.58.1112.32

 

10.09.1875–28.03.1911

Ist auch ein signifikantes Beispiel, dass sich ein Künstler nicht wie Paul Klee es erlebte, selbst nötigte, sich entweder für Musik oder Malerei zu entscheiden, sondern das Überkommen bürgerliche Spartendenken zu überwinden.

Seine Aussage „Ich stelle mir die Welt als gemalte Sinfonie vor“, könnte sowohl das künstlerische Bewusstsein als auch das intermedial- interdisziplinäre Schaffen von BA charakterisieren.

Mikalojus Konstantinas Čiurlionis wirkte als Musiker, Komponist und Maler. Er studierte unter anderem in Leipzig.

Die musikalische Begabung von M. K. Čiurlionis wurde frühzeitig erkannt und gefördert. Den ersten Unterricht erhielt er von seinem Vater. Bereits im Alter von 14 Jahren begann er eine Ausbildung an einer privaten Orchesterschule in Plungė im Nordwesten Litauens. Ab 1892, im Alter von 17 Jahren, war er Flötist im Hoforchester dieses Fürsten. M. K. Čiurlionis studierte mit finanzieller Unterstützung von giński von 1894 bis 1899 am Warschauer Konservatorium Klavier und Komposition.

Bild2

Unmittelbar nach seinen Studienjahren in Leipzig (1901–1902) begann er im Herbst1902 mit seiner Ausbildung zum Kunstmaler – zunächst bis 1904 an einer Zeichenschule und von 1904 bis 1906 als Student an der Schule der schönen Künste in Warschau.Um seinen Lebensunterhalt zu sichern, erteilte er Musikunterricht. Die von M. K. Čiurlionis gelebte Verbindung von Musik und Malerei beeinflusst auchheute noch beide Kunstrichtungen. Zeit seines Lebens gehörten beide Künste zu seinem Schaffen. Im Frühling des Jahres 1905 wurden zum ersten Mal Gemälde von Čiurlionis auf einer Ausstellung gezeigt. In den Jahren danach folgten bedeutendereu. a. in Warschau, Paris, Moskau, Kiew, St. Petersburg und in Vilnius. Sein enormes,ständig bis an physische Grenzen gehendes Arbeitspensum zeigt sich auch daran,dass er in den ersten sechs Monaten des Jahres 1907 etwa 50 Gemälde schuf.

Auch wenn zeitweise sein musikalisches Schaffen gegenüber der Malerei etwas in denHintergrund trat, war er Zeit seines Lebens in unermüdlicher Weise sowohl auf musikalischemals auch bildkünstlerischem Gebiet tätig. Seine Malerei inspirierte seineKompositionen und umgekehrt.

 

Die Studienjahre der Künstlerin sind gekennzeichnet durch Vielfalt, Disziplinen übergreifende Erfahrungen und durch eine Kombination aus tätig-musikalischer Praxis und Inszenierungsstrategien, körperlicher Ertüchtigung und last not least Musiktheorie. Daher verwundert es kaum, dass ihr heutiges künstlerisches Schaffen interdisziplinär und intermedial orientiert ist.

Ihre Salzburger Studienzeit empfand sie als etwas ganz Besonderes, es eröffnete ihr ganz neue Welten. Salzburg war eine internationale Musikstadt und die Hochschule, an der BA studierte, genoss Weltruf. Dementsprechend groß war das Angebot an Ausbildungskursen.

Neben ihrem Hauptfach Gesang oblag ihr im Pflichtfach der Unterricht am Klavier, um sich selbst Lieder, Arien und ganze Opern aneignen zu können.

Bild2

Unterstützt wurde ihre Arbeit von sogenannten Korrepetitoren, die sie am Klavier begleiteten, Hinweise zur Erarbeitung von Liedern, Arien etc. gaben. Angeschlossen an die Abteilung Gesang war eine eigene Bühne, auf der in jedem Halbjahr Opern erarbeitet und aufgeführt wurden.

Als Sängerin wurde sie im alten Gebäude des Mozarteums unterrichtet und erhielt alle anderen Kurse im Haupthaus am Mirabellgarten. Ein spezieller Chor wurde nur aus den Sängerstudenten gebildet, was ihre Ensemblewahrnehmung schulte, und so konnte sie regelmässig an Konzerten im Saal des Mozarteums teilnehmen.

Die Theoriefächer beinhalteten Kurse wie Tonsatz, Satzanalyse, Gehörbildung, Solmisation, Musikgeschichte, Operngeschichte und Italienisch.

Darüber hinaus hatte BA Schauspielunterricht, Szenenstudium mit einem Theaterregisseur, Bewegungsschulung und verschiedene Sportangebote wie Ballett, Steppen, Barocktänze und Fechten, wobei sie gerade die letzteren beiden Disziplinen intensiv wahrnahm.

BA wurde von der ehemaligen deutschen Nationaltrainerin im Fechten trainiert, die sich in ihrem Unterricht auf die sogenannten klassischen Etüden konzentrierte, die in besonderer Weise mehr der Ästhetik einer geschmeidig-fließenden Bewegung Rechnung trugen als einer athletisch orientierten Kraftanstrengung. Und in den Farbpartituren von BA findet solcherart frühe Sensibilisierung für Bewegungsfiguren ihren bildnerischen Niederschlag.

Angeschlossen an das Mozarteum war ebenfalls eine Schauspielabteilung und die Abteilung für Bühnenmalerei. BA schaute den Studenten in ihren riesigen Sälen zu, wie sie schwungvoll mit großen Besen malten. Sie besuchte regelmässig die angebotenen Aktzeichenkurse und tauschte sich mit den Kommilitonen der bildenden Künste aus.

Und hier wurde bereits der Grundstein gelegt für die späteren bildnerischen Ambitionen der Künstlerin und ihre heutigen musikalisch-malerischen Transformationen und Farbpartituren. Gerade durch die Vielgestaltigkeit ihres Studiums und eines frühen interdisziplinären Interesses verfing sie sich nicht in einem tradierten Sparten-Denken und wollte sich auch nicht erfolgsorientiert reduzieren auf eine int. Gesangs-Karriere, für die ihr durchaus Tür und Tor offen standen.

BA nutzte alle Möglichkeiten, für einen geringen Betrag sowohl Proben für die Festspiele als auch die entsprechenden Aufführungen zu besuchen, darunter den „Jedermann“ von Hugo von Hofmannsthal oder die Opernaufführungen im Festspielhaus, in der Felsenreitschule, im Schloß Hellbrunn usw.. Und da Ihre Professorin, bedingt durch ihre eigene große Karriere Kontakte in alle Welt hatte, wie beispielsweise auch zu einem Herbert von Karajan, konnte BA an einer seiner Orchesterproben beiwohnen.

Im Laufe der experimentellen Erkundungen der Avantgarde-Protagonisten und ihrer Suche nach neuen Ausdrucksmöglichkeiten wurde ein antinomisches Denken in Sparten immer obsoleter.

Solcherart interdisziplinäre Intermedialität manifestiert sich in der Dada-Bewegung, in welcher Literatur, Performativität, Musik und Lautmalerei ineinander übergehen. Ein signifikantes Beispiel dafür ist das intermediale Schaffen von Kurt Schwitters, er verdichtet Malerei und Skulptur, Architektur und Lautmalerei zu einem komplexen, multimedialen Gesamtkunstwerk. Vergessen wir auch nicht das Triadische Ballett von Oskar Schlemmer, das ein beeindruckendes Beispiel gibt, interdisziplinär und transmedial Bildende Kunst, Tanz und Musik zu einer Synthese zu verbinden.

bild6

Dieses experimentelle Opus entstand ab 1912 in Stuttgart in Zusammenarbeit mit den Tänzern Albert Burger und Elsa Hötzel, hatte dort am 17. Dezember 1916 eine Teil-Aufführung und am 30. September 1922 seine Uraufführung.

Exemplarisch mag auch ein John Cage für diese Entwicklung stehen, der nicht nur das musikalische Material um Geräusche erweitert, sondern sich sowohl bildnerischer Mittel bedient als auch interdisziplinär mit dem Choreographen Merce Cunningham und seiner Tanztruppe zusammenarbeitet.

Die Idee des Gesamtkunstwerks lässt grüßen, bei der es sich um keine Errungenschaft der Moderne handelt, wenn wir uns Opern oder Kathedralen vergegenwärtigen, in der sich die Kooperation der verschiedenen Sparten und Künste manifestiert. Das Neue, das sich in der Moderne abzeichnet, ist ein verändertes Selbstverständnis vieler Künstler, deren Schaffen sich nicht auf ein einziges Medium beschränkt und sie sich allein durch dieses definieren.

Diese Entwicklung setzt sich vehement gerade in der Popmusik fort. Die Künstler entwickeln ästhetisch- transmediale und performative Inszenierungsstrategien für ihre komplexen Konzert-Events.

Ein Schlaglicht auf die intermedial-orientierte Bildnerei von Bettina Antoinette vermag uns der Text eines Philosophen geben. Folgen wir also ein Stück weit den Ausführungen von Georg W. Bertram zu „Intermedialität” und dem Konzept des Gesamtkunstwerks in seinem Text “Kunst, eine Philosophische Einführung“:

…”im Laufe des 20. Jahrhunderts hat gewissermaßen eine Säkularisierung der Idee vom Gesamtkunstwerk stattgefunden. Diese Säkularisierung kann man mit dem Begriff der Intermedialität zusammenfassen, der in der heutigen Kunsttheorie eine gewisse Konjunktur hat.

Unterschiedliche, künstlerische Richtungen haben das Programm einer Intermedialität der Künste verfolgt. Signifikant für ein solches Programm ist zum Beispiel der Begriff der Farbenmusik (beziehungsweise Farblichtmusik), der unter anderem mit der Arbeit von Wassily Kandinsky verbunden ist. Dessen Bühnenkomposition “Der gelbe Klang” (1912) zielt programmatisch auf eine Vereinigung der Künste, die über die gewohnten Bühnenkünste (Theater, Oper, Tanz) hinausgeht. Die unterschiedlichen, ästhetischen Medien (Musik, Farbe, Tanz) sollen nicht einfach addiert, sondern in eine Synthese gebracht werden. In unterschiedlicher Weise kehren Programme einer nichtadditativen Verschmelzung künstlerischer Medien im Surrealismus und in den künstlerischen Bewegungen der Happening-Kunst des Fluxus wieder”…

bild7

…”wie kursorische Beispiele deutlich machen, greift der Begriff der Intermedialität das synästhetische Moment des Gesamtkunstwerks auf. Wenn ein ästhetisches Geschehen als ein intermediales Geschehen verstanden wird, dann heißt dies, dass unterschiedliche Sinne zusammenspielen. Intermedialität wahrt in diesem Sinn den Anspruch des Gesamtkunstwerks, eine ästhetische Kommunikation nach Maßen des Menschen zu gewährleisten. Die Prinzipien einzelner Sinne werden nicht voneinander isoliert, sondern Verbindungen entfaltet.“…

…Intermediale Kunst teilt mit dem Konzept des Gesamtkunstwerks das Ziel, ein synästhetisches Zusammenspiel unterschiedlicher Künste zustande zu bringen.“…

…“Der Begriff der Intermedialität ist nicht mit der Idee einer idealen, einer ideal versöhnlichen Kunst verbunden. Intermedialität kommt vielmehr in unterschiedlichen Formen zustande. Diese Formen stehen gleichberechtigt nebeneinander. Ein intermediales Kunstwerk kann zum Beispiel sprachliche und bildliche Darbietungen verbinden, ohne dass Musik dezidiert beteiligt wird. Es kann auch in einer körperlichen Aufführung bestehen, die von unterschiedlichen Klangmomenten begleitet wird.“...

Bertram merkt gemäß seiner Erfahrung zum Thema Klangkörper und Farbenmusik an, dass “Bilder gelesen werden müssen.“

 Lassen Sie uns seinen aufschlussreichen Ausführungen weiter folgen:

…”Die Literatur hingegen hat einen Klang, der gehört werden will, sie hat einen Rhythmus und ihre Melodie”...

…”die Interaktionen zwischen den Künsten lassen sich vorläufig besonders gut daran festmachen, dass ein Vokabular einer Kunst sich zur Beschreibung einer anderen Kunst als geeignet erweist.

Das kann man beispielsweise an Orchestermusik verdeutlichen. Die Rede von Klangfarben hält fest, dass in ihr bildanaloge Prozesse ablaufen. Noch sprechender aber ist die Rede vom Klangkörper. Immer wieder sind Klänge des Orchesters zu verstehen wie Raumskulpturen, also Klanggebilde im Raum.”…

…”Musikalische Prinzipien sind in der abstrakten Malerei wie derjenigen von Piet Mondrian besonders auffällig (Anmerkung des Verfassers, siehe in besonderer Weise Mondrians letztes Bild “Broadway Boogie-Woogie”) Die Farben formen Klänge, Harmonien oder Dissonanzen. Farben treten in ein stimmiges oder unstimmiges Nebeneinander oder sind in einer Abfolge unterschiedlicher Tonwerte konfiguriert. Malerei ist hier so zu verstehen, dass sie entlang eines tonalen Systems verfährt. Die Klanglichkeit von Farben ist auch in der Malerei von zum Beispiel Paul Cézanne, Claude Monet, Vincent Van Gogh und Paul Gauguin ein Aspekt der malerischen Kompositionen. Auf ihren Bildern werden aus Farben Klänge geformt und Farben in einen bestimmten Rhythmus gebracht. Die Farben werden komponiert wie Töne eines tonalen Systems. Diese Verfahrensweise kann auch als Basis der Emanzipation der Farbe von der Darstellung begriffen werden. Die Malerei macht sich den nichtdarstellenden Aspekt der Töne in der Musik zu eigen.”…

 Zitiert nach „Zum Thema „Intermedialität der Künste siehe Georg W. Bertram in “Kunst, Eine Philosophische Einführung” Seite 95 -97. und der gleiche Autor zum Thema Klangkörper und Farbenmusik, Seite 99-102. Reclam Verlag 2005

…“Autoren wie Novalis und Friedrich Schlegel begreifen Kunst als ein ästhetisches Schaffen und nicht als eine ästhetische Schöpfung. Kunst ist in ihren Augen „energeia“ - ein bloßes schöpferisches Werden. Diesem romantischen Begriff von Kunst kann man eine Idee von Prozessualität entnehmen, die sich als Zeit eines unaufhörlichen Widerstreits bezeichnen lässt. Wenn Kunst als Prozess eines unauflösbaren Widerstreits erfahren wird, dann wird der Verstehensprozess ästhetischer Erfahrung von innen aufgebrochen“…

…“Jede Verständnisweise, die sich zu bilden beginnt, wird dabei von einer anderen Verständnisweise unterbrochen und so an ihrer Abrundung (dem Verstehen einer zusammenhängenden Sprachlichkeit) gehindert. Daher wird das Werk in einem Widerstreit von Verständnisweisen als eines erfahren, das immer im Entstehen bleibt. In dieser Erfahrung tritt nun zugleich die Prozessualität der ästhetischen Erfahrung als offene Prozessualität hervor“….

 

In der Rezeption der Bildzyklen von BAA nehme ich vier virulente Aspekte der Moderne wahr, die einen signifikanten Einfluss auf das bildnerische Schaffen der Künstlerin ausüben. Diese ästhetischen Gestaltprinzipien manifestieren sich in den unterschiedlichen Bildwerken künstlerisch sehr überzeugend und originär.

1. Das Interdisziplinäre und Transmediale

Auf diesen essenziellen Aspekt der moderne waren wir weiter oben schon eingegangen.

2. Die Leere

Wenn man einen Europäer fragt, was eine Hand ausmacht, dann sind das Finger und Daumen; wenn man einen Taoisten fragt, was die Hand zur Hand macht, dann ist es der Zwischenraum zwischen den Fingern. Dieser Aspekt der äußeren Umrissgrenze eines jeglichen materiellen Etwas artikuliert auch immer den umgebenden Raum und gestaltet ihn mit. Und eben dieser Raumaspekt und die bewusste und gezielte Einbeziehung von Leere und Zwischenraum in die Gestaltung ist ein zentraler Aspekt der Moderne, der sowohl für die Architektur, als auch für Skulptur und Malerei als Gestaltungsparameter virulent wird.

Bild2

3. Die Offenheit

In der Moderne wird die Unabgeschlossenheit des Bildes virulent, es steht nicht mehr für ein Ganzes wie das traditionelle europäische Bildwerk, vielmehr liefert es nur einen Bildausschnitt eines größeren Kontinuums, und weist über die Bildgrenzen hinaus. Solche Bilder betonen die Flächigkeit und verweben die Bildgestalten mit der Bildebene. Das Bildgeschehen drängt nach vorne in den Realraum, es kommt dem Betrachter entgegen, attackiert ihn förmlich und bezieht ihn mit ein.

Dagegen ist das klassische traditionelle europäische Bild der Vormoderne ein hermetisch abgeschlossenes Ganzes, das „pars pro toto“ für die Welt steht, es fungiert als Fenster, das unserem Blick einen inneren, imaginären Raum eröffnet, der uns zentripetal ansaugt und vereinnahmt in einem inneren Bildraum der hinter der Bildebene der Leinwand illusionistisch Tiefen eröffnet.

Bild3

Der offene Bildtypus der europäischen Moderne, seine signifikanten stilistisch- ästhetischen Strategien und Kompositions-Prinzipien, wie beispielsweise das Anschneiden der Bildsujets, ihre abstrakte Reduzierung, Flächigkeit, sowohl Konturierung und ornamentale Dynamik als auch musikalisch anmutende Rhythmisierung wurden durch die klassische japanische Ästhetik inspiriert. Der sogenannte „Japonismus“ beeinflusste in Frankreich Künstler wie z. B. Édouard Manet, Camille Pissarro, Paul Gauguin und Vincent van Gogh und Claude Monet! Der Begriff „Japonismus“ wurde 1872 von dem französischen Kunstkritiker Philippe Burty geprägt, zu denen die besagten Künstler gehörten. Der Ukiyo-e Stil japanischer Farbholzschnitte beispielsweise eines Katsushika Hokusai beeinflusste die besagten Maler und in besonderer Weise inspirierten der japanische Stil auch die „Art Nouveau“ durch seine geschwungenen Linien und den kontrastierenden Leerflächen, ihrem schematisierten Aufbau und der Zweidimensionalität ihrer Bildebene. Einige Linienformen und Kurvenmuster wurden zu graphischen Versatzstücken, die sich später in Werken von Künstlern in aller Welt fanden.

4. Prozessualität und Zeitlichkeit

wurden schon im Impressionismus des späten Van Gogh und eines Claude Monet virulent, wenn uns ihre vibrierenden Farblicht-Energien in einen zeitlichen Bewegungsstrom mitreißen. In der Dada Bewegung der 20er Jahre und im Happening und Fluxus der 60er Jahre sind die Faktoren Zeit und Prozessualität virulent und stehen thematisch im Mittelpunkt des künstlerischen Schaffens sehr vieler Künstler, die einen starken Einfluss ausgeübt haben auf andere künstlerische Disziplinen, und natürlich in besonderer Weise auf das künstlerische Denken und Schaffen von Joseph Beuys.

Diese Aspekte manifestierten sich beispielsweise bei KünstlernInnen wie Wolf Vostell und Diter Roth, einer Yoko Ono, Al Hansen, gerade auch bei Nam Jun Paik, dem Begründer der Videokunst, in den Performances einer Maria Marina Abramovic den Aktionen des Österreicher Wolgang Flatz, und dem Wiener Aktionismus. Auch für die Düsseldorfer „Zero Kunst“ Bewegung von Heinz Mack, Günther Uecker und Otto Piene spielt die zeitliche Dimension eine essenzielle Rolle in ihrer Kunst, nicht zu vergessen auch für die beiden Franzosen Georges Mathieu und Yves Klein, stellvertretend für die Malerei seien Sigmar Polke und Gerhard Richter als auch der amerikanische abstrakte Expressionismus.

In der japanischen Kunst vergegenwärtigt in besonderer Weise “die Welle von Hokusai“ Zeitlichkeit, so auch beispielsweise der italienische Futurismus eines Boccioni Geschwindigkeit und Beschleunigung in den Mittelpunkt stellt. Sogar in den Kompositionen eines Franz Marc, ein Repräsentant der Künstlergruppe „Blauer Reiter“ sind Zeit und Bewegung zentrale Themen und last not least ist Prozessualität ein essenzieller Aspekt im Werk eines Joseph Beuys.

 

BA bezeichnet ihre Farbstudien im Sinne von Chopin als „Étüden“ und eigenständige Werke, die sie ganz unprätentiös sogar auf Reststücken und Leinwandfetzen zur Orientierung für ihre bildnerischen Arbeiten anlegt und auch mit Kommentaren versieht.

Sie kommentiert die Bewertung dieser vorbereitenden Farbstudien und Übungen als eigenständige Werke wie folgt:

„Etüden sind in ihrer Urform eigentlich Übungsstücke für pianistische Problemstellungen, die es darin zu lösen und zu überwinden gilt.

Frédéric Chopin erhob diese Übungsstücke zu einer Kunstform, die man als poetische Meisterwerke betrachten kann. Inspiriert wurde er durch das „Wohltemperierte Klavier“ von Johann Sebastian Bach, dessen Präludien und Fugen er als gedankliche Anregung für seine Kompositionen nahm, da sie von Bach selbst schon als Übungsstücke konzipiert wurden.

Chopin schrieb seine 27 Etüden zwischen 1829-1836, die der Musikkritiker Karl Schumann einmal als“Magna Charta“ des Klavierspiels bezeichnete.“

 

Die Farbpartituren der Künstlerin BA muten an wie kalligrafische Chiffren, von denen sich kunsthistorisch ein Bezug zu dem Werk von Georges Mathieu und seiner informellen Malerei herstellen lässt, von der BA nachhaltig inspiriert wird. Georges Mathieu war der Schöpfer der lyrischen Abstraktion. Er inszenierte und ritua li sierte seinen Malprozess, bei dem er spontane Ausdrucksgesten verband mit einem theatralischen Ritual. Mit dem Schwung und der Grazie eines Balletttän zers wirbelte er Linien, Kurven und verschlungene Arabesken auf die riesige Lein wand. Am Beginn stand zumeist eine lange wellen förmige Horizon tale, die er unmit telbar darauf mit einer Vertikalen kreuzte. Damit nahm der Malprozess Fahrt auf und strebte mit drän gender Kraft seinem Höhepunkt zu. „Endlich ein abendländischer Kalligraf“, rief der Schriftsteller André Malraux vor einem der Bilder Mathieus aus.

Mathieu arbeitete, ohne eine Vorstellung davon zu haben, wie das Gemälde am Ende aussehen werde. An erster Stelle stand für ihn die Schnellig keit. Mit ihr komme ein neues Element in die abendländische Kunstauffassung. „Die Schnelligkeit bedeutet die endgültige Aufgabe handwerklicher Verfahren in der Malerei zugunsten rein schöpferischer Methoden“, erläuterte er.

Geschwindigkeit und Improvisation

Durch die Schnelligkeit und ihre Verbidung mit der Improvisation erweise sich “die Verwandtschaft des schöpferischen Verfahrens dieser Malerei mit den Formen befreiter, unmittelbarer Musik wie dem Jazz“. Zu der Notwendigkeit von Geschwindigkeit und Improvisation fügte Mathieu „als sublimierte Kondition die Konzentration psychischer Energie und gleichzeitig den Zustand völliger Leere“ hinzu. Um 1980 erwei terte Mathieu seine Farbpalette. Auch die Komposition seiner Bilder gewann an Freiheit. Die Kreuzung von Vertikale und Horizontale, die Zentrum und Ausgangspunkt des Malprozesses bildete und seinen Gemälden eine klassische Strenge verlieh, wich einer lyrischen Verspieltheit.

 

Die Künstlerin BA geht unbeirrt ihren originären-künstlerischen Weg durch eine immer noch durch Männer dominierte Kunstlandschaft. Selbst in den Avantgarde- Bewegungen der Moderne wurden Künstlerinnen nicht entsprechend der Bedeutung und Innovationskraft ihrer Werke gewürdigt. Sie waren nur das fünfte Rad am Wagen und wurden in ihrer Rolle auf Funktionen reduziert wie Muse, Gehilfin, Trösterin, Femme fatale oder Vamp. Am Bauhaus in Dessau und Weimar wurde der Raum der Bauhaus-Künstlerinnen auf angewandte Künste wie Keramik und Textildesign beschränkt, in denen sie allerdings Hervorragendes leisteten und künstlerische Werke schufen, die keineswegs den Werken ihren männlichen Kollegen nachstanden, sondern vielmehr ganz neue kreative und innovative Standards setzten.

In Anbetracht dessen ist es kein Zufall, dass sich die Künstlerin BA vorzugsweise mit der Musik von Komponistinnen wie beispielsweise Clara Schumann befasst, – in der Musik war es den Frauen gleichermaßen wie den Künstlerinnen in der Bildenden Kunst ergangen. Dabei ist BA als Künstlerin sowohl bewegt durch das musikalische und künstlerische Selbst- und Werkverständnis der Avantgarden der Moderne, als auch geprägt durch Sparten und Genre übergreifende, ästhetische Strategien.

Mit dem interdisziplinären und intermediären Wirken von Bettina Antoinette verbindet mich eine eigene künstlerische Erfahrung, da ich in meinen eigenen Kunstprojekten einen interdisziplinär- transmedialen und Prozess orientierten Ansatz favorisiere.

Im Jahr 2021 von Mai bis November habe ich mich mit der Künstlerin Barbara Meisner in Birnbach im Westerwald im Rosenkreuzer Kongresszentrum über ein halbes Jahr zu einer Malklausur zurückgezogen, um malerische Werke für einen Retreat- und Meditationsraum zu schaffen, die dann im Rahmen einer Vernissage der Öffentlichkeit vorgestellt wurden. Ich konnte Bettina Antoinette gewinnen, schon während meines Malprozesses meines großen “Élan vital” Diptychons über eine Stunde gesanglich kongenial mit meinem Malprozess in gegenseitiger Korrespondenz zu interagieren mit rituell anmutenden gesanglichen Improvisationen.

Die gemeinsame künstlerische Interaktion wurde mit Video aufgezeichnet und während der Vernissage eingespielt. Zudem trat BA während der Vernissage erneut in einen performativ-musikalischen Dialog mit allen ausgestellten Bildwerken Barbara Meisner und mir, indem sie sich langsam durch den Raum bewegte, den Bildwerken annähernd und wieder entfernend. Wobei solcherart gesangliche Intervention nicht der üblichen Gepflogenheit entsprach, eine Vernissage musikalisch zu garnieren und die Konversation des Publikums belebend zu unterfüttern. Es war mucksmäuschenstill im Hermes Saal, als die Künstlerin in einem zeremoniellen Akt sich tranceartig durch die Vernissage-Besucher bewegte und diese in ihren Bann zog, wobei sich Bilder, Gesang und Bewegung synästhetisch durchdrangen und verbanden zu einem multimedialen, kontemplativen Wahrnehmungs- und Ereignisfeld, in dem nicht mehr das einzelne Medium Vorrang beanspruchte.

 

streifen-unten