Initialzündung

Bettina Antoinette

...eine neue und tief beglückende Dimension meines künstlerischen Ausdrucks und brachte eine Kehrtwendung in meinem Leben. Die Initialzündung, der entscheidende Moment, entstand durch ein Erlebnis in einem Freizeitcenter in Bonn, in dem ich eine Postkarte mit einem Notenausschnitt eines Concerto Grosso von Georg Friedrich Händel entdeckte. Mich erfasste in diesem Augenblick eine Art Ideenblitz, der mich regelrecht durchzuckte. Mir kam plötzlich die Idee, meine bisherigen musikalischen Erfahrungen und Vorlieben mit der Bildenden Kunst zu verknüpfen und Kompositionen auf Leinwand malerisch zu “vertonen“. Seit meiner Jugend arbeitete ich immer wieder, wenn auch zeitweise mit großen Abständen, an unterschiedlichen Themen und machte Ausstellungen.

Aber jetzt hatte ich mein eigentliches Thema gefunden, ein neuer Strom des Schöpferischen brach sich Bahn und schenkte mir neue interdisziplinäre Gestaltungsmöglichkeiten, was mich mit einem tiefen Glücksgefühl erfüllte. Als Sänger* in kann man meistens nur innerhalb eines kleinen Gestaltungsraums agieren, da man sowohl die interpretatorischen Vorgaben des Komponisten zu erfüllen hat, als auch den Vorgaben von Dirigenten entsprechen muss, dabei sind auch noch die Aufführungskonditionen der Konzertveranstalter zu berücksichtigen. Der interdisziplinäre Ansatz eröffnete mir neue Räume, und ich fühlte mich als Künstlerin ganz angekommen zu sein. Nach dem Kauf der Postkarte fuhr ich nach Hause, hörte das Concerto Grosso, ließ die Musik in mir wirken und nahm Leinwand, Pinsel und Farbe zur Hand. Dabei überlegte ich, was diese Musik, deren Zeitepoche und ihren Komponisten charakterisiert. Händel war ein Choleriker, schnell reizbar, immer unter Druck stehend, seinen Platz als Star am Komponistenhimmel behaupten zu müssen, daher wählte ich zunächst die Farbe Rot. Dennoch sind seine Werke oft so transzendent und erhaben wie beispielsweise sein Oratorium „Der Messias“, sodass die Farbe Blau in Abstufungen bis hin zu Weiß hinzukam. Repräsentativ für die Zeit des Barock musste das Metall Gold, das die Üppigkeit, den Prunk dieser Epoche vertritt, dazukommen. Und durch die Beschäftigung mit dieser interdisziplinären Gestaltung entdeckte ich bald eine Wahrnehmung in mir, die mir nie bewusst war, weil ich sie für selbstverständlich hielt. Ich nannte sie „Hören-Fühlen-Sehen“.

 

Berührt mich eine Komposition in meinem Inneren, entstehen ganz bestimmte Gefühlskaskaden, verbunden mit einem großen Wohlgefühl. Diese Gefühle schwingen mit der entsprechenden Komposition im „Einklang“. Und ich habe dann das Bedürfnis, diese Musik so lange zu hören, bis sie in mir kreist und eine Art Sättigungseffekt zeitigt, oder zeitlich versetzt entstehen plötzlich in der Totalität meiner Wahrnehmungen Bilder vor meinem inneren Auge, die diese Kompositionen in filigrane Lineamente und Farbläufe verwandeln.

Von diesem Moment an fließt diese Energie, die musikalische Essenz der Komposition, die ich über die Empfindungen in mir aufnehme, durch meine Arme und Hände über den Pinsel auf die Leinwand.

 

Zeitweilig gefällt mir die Aufteilung dieser Bilder im Kopf nicht ganz, dann kann ich diese, ähnlich der Bearbeitung eines Computerprogramms, hin und her schieben, bis sie für mich stimmig erscheint. Am besten gelingen mir diese Verschiebungen vor dem Schlafen, im Dunkel meines Zimmers, wenn die äußere Welt ausgeblendet ist.

Es kommt auch vor, dass ich beim Hören eines Werkes die passenden Gefühlskaskaden erlebe, aber bildnerische Imagination ausbleiben. Dann muss ich warten, bis meine Gefühlskaskaden in meinem Unbewussten wie ein Wein reifen und sich mir ohne Anstrengung von selbst zeigen.

Meine bevorzugten Malmedien sind momentan Acrylfarben und Tuschen. Acrylfarben haben den Vorteil schnell zu trocknen, sind aber relativ flach in ihrer Farbtiefe. Zudem gestalte ich die Hintergründe meiner Tuschearbeiten mit Acrylfarben, denn sie sind im Gegensatz zu manchen Tuschen wasserfest, benötigen aber alle durch ihre flüssige Konsistenz eine längere Trocknungszeit. Für meine abstrakten Arbeiten sind Tuschen hervorragend geeignet, denn damit kann ich fließende Melodiebögen, die Bewegungen der Kompositionen wunderbar darstellen.

Bei meiner Materialsuche stieß ich auf diese flüssigen Malmedien und war begeistert ob meiner neuen Ausgestaltungsmöglichkeiten. Von da an konnte ich gestalterisch eine weitere, neue Ebene in mir eröffnen. Diese Techniken bereicherten mein malerisches Repertoire und erleichterten mir die bildnerische Umsetzung meiner synästhetischen Wahrnehmungen. Nun konnten die Melodien leichter aus meinem Arm, aus meiner Hand auf die Leinwand „fließen“.

Zudem lassen sich Tuschen stark verdünnen, sodass es möglich wird, ganz zarte „Anklänge“ aqualrellartig auf Leinwand zu bringen.

Da die Tusche durch ihre flüssige Konsistenz beim Trocknen eine ebene Fläche und eine straff gespannte Leinwand benötigt, arbeite ich, je nach Größe des Bildes, entweder auf dem Tisch oder auf dem Fußboden. Und als Sängerin besitze ich natürlich ein Klavier, was mir außerhalb des Unterrichtens als Staffeleiersatz dient, da ich beim Malvorgang gerne die Arme aufstütze. Dementsprechend trägt es seine malerischen Spuren. In Zukunft werde ich zudem wieder Ölfarben als Arbeitsmittel einsetzen, denn Renaissance,- und Barockmusik verlangen eine warme Tiefe des Ausdrucks, der sich nur mit diesen Farben angemessen verwirklichen lässt. Als Sängerin, die klassischen Gesang studierte und schon mehrere Jahrzehnte als Gesangslehrerin tätig ist, habe ich mir über die Jahre hinweg viele verschiedene Stile wie Musical, Jazz, Pop etc. für meinen Unterricht aneignen können, und diese dienen meiner Malerei als ein großer Inspirationsfundus.

Die Beschäftigung mit einer klassischen Komposition erfordert auch beim Übertragen auf die Leinwand eine intensive Durchdringung, Ernsthaftigkeit und zuweilen erlebe ich die Konzentration auf Komposition und Leinwand als ein energetisches Ringen. Es ist für mich wichtig geworden, zwischen unterschiedlichen Musikstilen wechseln zu können, denn so erlebe ich eine innere Balance in meinem Kunstschaffen. Bin ich mal mit einem Arbeitsvorgang nicht zufrieden, entsteht in mir eine Empfindung gleich eines inneren, dissonanten Akkords, der unbedingt wieder in die Harmonie aufgelöst werden möchte. Diese Dissonanz lässt mich so lange nicht los, bis ich ein harmonisches Ergebnis dazu gefunden habe.

Vor 3 Jahren (2020) entdeckte ich zufällig auf Youtube eine zauberhafte Klavierkomposition namens „L´Ondine“, das Werk von Cécile Chaminade, einer mir bislang unbekannten Komponistin, was ich natürlich gleich auf Leinwand „vertonen“ musste. Bei weiteren Recherchen zu ihren Kompositionen stieß ich auch auf faszinierende Musik anderer Frauen.

Werke, die zu Unrecht über Jahrhunderte in der Schublade vergraben, der Vergessenheit zum Opfer gefallen waren. In den letzen Jahren haben es sich immer mehr Musiker*innen zur Aufgabe gemacht, diese Kostbarkeiten wieder auszugraben und sie einem breiteren Publikum vorzustellen.

So kam mir durch die Entdeckung dieses Werkes von C. Chaminade die Idee, mich an der Ausgrabung dieser Kompositionen zu beteiligen und es in Zukunft zusätzlich als Aufgabe anzusehen, sie durch das Medium der Bildenden Kunst zu würdigen und wieder sicht,- und hörbar zu machen.

Zum Thema „Intermedialität der Künste siehe Georg W. Bertram in “Kunst, Eine Philosophische Einführung” Seite 95 -97 und der gleiche Autor zum Thema Klangkörper und Farbenmusik, Seite 99-102, Reclam Verlag 2005